TAGUNGSBERICHT - 1. deutsch-niederländisches Symposium zur Adelsgeschichte.
Bestandsaufnahme und Forschungsperspektiven Enschede, 13.3.2009
von "Christine Witte"  <Christine.Witte at lwl.org> vom  25.05.2009, 15:31

Am 13. März 2009 lud der Deutsch-niederländische Arbeitskreis für Adelsgeschichte bzw. der Duits-Nederlandse Kring voor Adelsgeschiedenis zum 1. deutsch-niederländischen Symposium für Adelsgeschichte in den Burgerzaal des Rathauses von Enschede.
Während der Tagung stellte sich die Stichting Werkgroep Adelsgeschiedenis mit einem Stand vor und bot das Jaarboek Virtus an.

In seiner Begrüßung der etwa 70 anwesenden Historiker und Historikerinnen und Adelsvertreter, vornehmlich aus Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden, erklärte Gunnar Teske vom LWL-Archivamt für Westfalen das Anliegen der Tagung: Der Arbeitskreis, der sich in Fortsetzung des Projektes "Adel verbindet" gebildet hat, solle der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Es sollte zunächst der Forschungsstand auf niederländischer und deutscher Seite präsentiert werden, bevor im zweiten Teil aus aktuellen Forschungsprojekten berichtet würde. Um die Gleichrangigkeit beider Länder zu betonen, seien als Konferenzsprachen bewusst Deutsch und Niederländisch gewählt worden. Schließlich dankte Teske der Stadt Enschede und ihrem Stadtarchivar Adrie Roding für die Ausrichtung der Tagung.

Der Kämmerer der Gemeente Enschede, J.H.A. Goudt, hieß die Anwesenden im Namen der Stadt in dem 1933 eröffneten Rathaus willkommen, das insbesondere der Begegnung diene. Obwohl Enschede keine Schlösser zu bieten habe, habe auch hier der Adel in der Geschichte eine wichtige Rolle gespielt. Goudt rief die Tagungsteilnehmer dazu auf, vor allem auf die gesellschaftliche Rolle des Adels zu blicken und seine Geschichte der Öffentlichkeit zu vermitteln.

Entsprechend nannte Maarten van Driel vom Gelders Archief in Arnheim als ausdrückliche Ziele des Arbeitskreises die Förderung der Forschung sowie die Vermittlung der Ergebnisse an eine breite Öffentlichkeit. Dabei solle die Grenze, die im politisch-administrativen Bereich nur noch relative Bedeutung habe, auch in der Forschung, in der sie immer noch deutlich wahrnehmbar sei, überwunden bzw. abgebaut werden.

In diesem Zusammenhang werde Adelsgeschichte nicht allein als Geschichte des Adels verstanden, sondern zugleich als Fenster für die allgemeine Geschichte. An Aktivitäten seien Mailinglisten, Newsletter, Webseiten, Foren, Tagungen und Publikationen denkbar. Der Arbeitskreis, ein loser Verband von Instituten, Archiven, Universitäten und Museen im Raum Maastricht-Groningen-Osnabrück-Münster, erhoffe sich von den Teilnehmern in dieser Hinsicht Anregungen in der Schlussdiskussion.

Die erste Arbeitssitzung unter Leitung von Bernd Walter vom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte und Johan Seekles vom Historisch Centrum Overijssel (Zwolle) hatte das Ziel, den gegenwärtigen Stand der Forschung auf beiden Seiten der Grenze zu bestimmen. Yme Kuiper von der Universität Groningen beschrieb in seinem Referat über "Adelsgeschichte in den Niederlanden: Forschungsstand in der akademischen Welt und Skizze ihrer zukünftigen Herausforderungen" die Entwicklung in den Niederlanden anhand der in den letzen dreißig Jahren erschienenen Publikationen zum Thema. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts fand in der akademischen Geschichtsschreibung in den Niederlanden eine Umorientierung statt.

Diese war gekennzeichnet durch den Aufstieg der Kulturgeschichte und der Elitengeschichte. Die Adelsgeschichte wurde in diese Entwicklung miteinbezogen. Es blieb aber eine lästige Hemmung: die Betonung des sogenannten bürgerlichen Charakters der Niederländischen Kultur - mit den Worten des größten Niederländischen Historikers, Johan Huizinga: "Ob wir nun große oder kleine Sprünge machen, wir Niederländer sind alle bürgerlich - vom Notar bis zum Dichter und vom Baron bis zum Proletarier." In seinem "Herbst des Mittelalters" (1919) hatte Huizinga sich eingehend mit den adeligen Lebensformen am Hof der Burgunder beschäftigt. In "Holländische Kultur im 17.
Jahrhundert. Ihre sozialen Grundlagen und nationale Eigenart"
(1933) schrieb er vom "geringen Gewicht des Adels als Stand".

Die jüngere Historiographie der Niederländischen Adelsgeschichte (1980 bis heute), lässt sich in drei Perioden mit jeweils eigenen Forschungsakzenten aufteilen. In den 1980er Jahren konnten die Dissertationen von Henk van Nierop, "Van ridders tot regenten" (zum Holländischen Adel 1500-1650) und Cees Schmidt, "Om de eer van de familie" (zu einem patrizischen,  im 19. Jahrhundert geadelten Geschlecht aus Holland) als paradigmatische Studien gelten.

In beiden Arbeiten war der Einfluss ausländischer Vorbilder spürbar (Lawrence Stone, "The Crisis of the Aristocracy", 1558-1641; Pierre Bourdieu, "La distinction"). Zentral stand bei Van Nierop eine Widerlegung des postulierten Untergangs des Adels im früh-modernen Holland, der mächtigsten und reichsten Provinz der Republik der Vereinigten Niederlande. In Schmidts Buch, das die Periode 1500-1950 umfasst, fungiert der "Mythos der ansehnlichen Herkunft" als Leitmotiv.

In den 1990er Jahren wuchs das Interesse am Werdegang des Adels in den neuen Prozessen der neuzeitlichen Eliten- und Nationsbildung. Ein Beispiel: Yme Kuiper, "Adel in Friesland 1780-1880", inspiriert durch die Arbeiten von Lawrence Stone über die Britische "landed" Elite, und von Heinz Reif zum Westfälischen Adel. Kuiper betont die Entstehung einer nationalen Notabelen-Elite im 19. Jahrhundert, vergleichbar mit der Anwesenheit aristokratischer Eliten in anderen Europäischen Staaten. Weiterhin erschienen viele Studien zur adeligen Wohnkultur. Wichtig war in dieser Kategorie die Dissertation Jan Carel Bierens de Haans zum adeligen Schloss Rosendael, mit dem Akzent auf Gartenprojekten.

Im frühen 21. Jahrhundert scheint sich der Trend in Richtung einer stärker kulturellen Betrachtung des Adels weiter durchzusetzen. Ablesbar ist dies auch an der wachsenden Beliebtheit der wissenschaftlichen Adelsbiographie sowie an der Thematisierung der Auswertung von Ego-Dokumenten. Letztere kennzeichnet die Erforschung der unterschiedlichen Repräsentationen des Adels als Erinnerungsgruppe.

Mustergültig ist die Biographie von Bob de Graaff und Elsbeth Locher-Scholten über J.P. Graaf van Limburg-Stirum, Generalgouverneur von Niederländisch Indien um 1918 und Diplomat in Berlin und London in der Zwischenkriegszeit.

Auch zeigt sich, dass man zunehmend die Möglichkeiten komparativer Forschung ins Auge fasst. Dies gilt sowohl für die Frühmoderne - in der Republik gestaltete sich die Vormachtstellung des Adels in jeder Provinz unterschiedlich -, als auch für die Moderne - wie ist der Adel zu platzieren in einer demokratisierten, entadeligten Gesellschaft und Kultur?
Wichtige Herausforderungen für die künftige adelshistorische Forschung in den Niederlanden sind:

mehr systematische Erforschung der Abschliessungstendenzen des Adels in den Provinzen der Republik im 17. und besonders im 18.
Jahrhundert; mehr komparative Forschung zu den adeligen Strategien des "Oben-Bleibens" und zu den spezifisch adeligen, Exklusivität und Hegemonie darstellenden Lebensformen;

der ethnographische Blick nach innen: die Bildung des adeligen Habitus und die Renaissance der Memoria-Kultur bei adeligen Familien. Als Motto kann weiterhin gelten: "Die Geschichte des Adels ist die Geschichte seiner immerwährenden Erfindung, der permanenten Konstruktion von Adeligkeit, der stets neuen Begründung von sozialer und kultureller Distanz. Aber es ist nicht nur der Adel selbst, der sich immer wieder erfindet. Adel wäre nicht möglich ohne den Glauben an die Existenz von Adel in der ihn umgebenden Gesellschaft." (E. Conze in der Rezension über die deutsche Ausgabe von M. de Saint Martin, "L’espace de la noblesse").

Nach diesem Überblick von Kuiper über die niederländische Forschungsgeschichte, berichtete Christian Hoffmann vom Niedersächsischen Landesarchiv-Hauptstaatsarchiv Hannover in seinem Referat "Ritterschaftlicher Adel in Niedersachsen und Westfalen in der Frühen Neuzeit" inhaltlich über den Forschungsstand in Nordwestdeutschland.

Der niedere Adel ist von der deutschen Geschichtsforschung des 19. Jahrhunderts überwiegend negativ beurteilt worden. Die ältere Forschung beschrieb einen Dualismus zwischen den nach Modernisierung strebenden Landesherrschaften und den an den überkommenen Zuständen festhaltenden, vom Adel dominierten Ständen. Die zahlreichen adeligen Partikularrechte mussten den Vereinheitlichungstendenzen der Landesherren zwangsläufig im Weg stehen. Zu einem Paradigmenwechsel kam es in der deutschen Geschichtsforschung erst nach 1945. Nun wurde nicht nur das bislang vorherrschende Modernisierungsparadigma fallen gelassen; vielmehr wurde auch das Bild von der Verweigerungshaltung des Adels aufgegeben und stattdessen nach dem Beitrag der Stände zur Ausbildung frühmoderner Staatlichkeit gefragt.

Der Adel als Stand und als soziale Gruppe konstituierte sich vor allem nach rechtlichen Merkmalen wie z.B. Steuerfreiheit,
Jagd- und Fischereirechten. Standesbewusstsein und Herrschaftsanspruch des Adels fanden ihren Ausdruck in erster Linie in der Anlage repräsentativer Schlösser. Grundlage der adeligen Existenz war im deutschen Nordwesten - wie auch anderswo - vorrangig die Landwirtschaft.

Der überwiegende Teil des Grundbesitzes war an Bauern verpachtet, die dafür Abgaben in Form von Naturalien oder Hand- und Spanndiensten zu leisten hatten. Im 18. Jahrhundert überstieg der Kapitalbedarf vieler adeliger Familien die Einnahmen aus grundherrlichen Besitz und staatlichen Ämtern erheblich.

Universitätsstudium und Kavalierstour waren in der Frühen Neuzeit feste Bestandteile der Ausbildung der adeligen Söhne, die sich so für den Verwaltungsdienst und die Karriere am Hof empfehlen konnten. Die Ausbildung der adeligen Töchter zielte darauf, diese für die Ehe und die eigenständige Haushaltsführung vorzubereiten. Durch günstige Heiratsverbindungen konnten funktionstüchtige Netzwerke aufgebaut werden. Als dauerhafte Versorgungsmöglichkeiten für adelige Töchter dienten neben der Ehe auch die freiweltlichen Damenstifte bzw. die Frauenklöster des Benediktiner- und des Zisterzienserordens.

Die nordwestdeutschen Fürstenhöfe waren nicht geeignet, den landsässigen Adel nach dem Vorbild des französischen Königshofes zu "domestizieren". Dennoch hatte der Hof als Ort der Kommunikation und der Möglichkeit der Netzwerkbildung große Bedeutung für den landsässigen Adel.

Die Wandlungen im Militärwesen im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit hatten nachhaltige Auswirkungen auf den Adel. In der Frühen Neuzeit trat an die Stelle des mittelalterlichen Lehensaufgebots zunächst die Söldnertruppe und schließlich das stehende Heer. Zahlreiche Adlige passten sich der Entwicklung rasch an und traten als Berufsoffiziere in den kaiserlichen bzw. landesherrlichen Dienst.

Der niedere Adel in den Territorien zwischen Rhein und Elbe wandte sich im Lauf des 16. Jahrhunderts mehrheitlich der Reformation zu, wobei hier im Wesentlichen von einem schleichenden Konfessionalisierungsprozess auszugehen ist. Mit dem Einsetzen der Gegenreformation in den geistlichen Territorien ab 1585 geriet der mehrheitlich protestantische Adel dieser Territorien unter erheblichen Druck, konnte sich jedoch gegen die Rekatholisierungsmaßnahmen der Landesherren behaupten. Der Westfälische Frieden von 1648 sicherte dem protestantischen Adel in den geistlichen Territorien die Religionsfreiheit.

Die politische Einflußnahme des landsässigen Adels auf die Geschicke des Landes erfolgte im deutschen Nordwesten über die territorialen Landtage, die sich im Spätmittelalter herausgebildet hatten. Vertreten auf den Landtagen waren in der Regel die höhere Geistlichkeit, der landsässige Adel und die Städte; bäuerliche Vertreter konnten nur in wenigen Territorien eine Landstandschaft behaupten. Die neuere Forschung geht davon aus, dass das Verhältnis zwischen Fürst und Ständen in der Regel vom Konsens geprägt war.

Im 16. Jahrhundert erfuhren die Landtage auf landesherrliche Initiative hin eine organisatorische Verfestigung. Aus den im Rahmen dieser Verfestigung aufgestellten Matrikeln entwickelte sich das landtagsfähige Gut als Zulassungskriterium zur ritterschaftlichen Landtagskurie. Zunehmend gewann auch in vielen Territorien wieder eine persönliche Qualität, nämlich die adelige Abstammung, für die Zulassung an Bedeutung. Die Auswirkungen des Jüngsten Reichsabschieds von 1654, der die Stellung der Landesherren gegenüber ihren Ständen stärkte, haben sich in Niedersachsen und Westfalen kaum niedergeschlagen. Auch im Zeitalter des Absolutismus und darüber hinaus wirkten die Landstände trotz unverkennbarer Behinderungen weiterhin aktiv am territorialstaatlichen Leben mit.

Neben den Landtag traten im Lauf der Zeit aus Gründen der Effektivität mit den Ausschüssen und den Deputationen andere ständische Organisationsformen, die nur in den welfischen Territorien für einige Zeit die Landtage zu ersetzen vermochten. Selbst in den brandenburg-preußischen Territorien wurden weiterhin Landtage abgehalten. Die Entwicklung zur regelmäßigen Tagung in den Residenzstädten hatte zur Folge, dass der Adel sich hier Stadtpalais errichtete, um während der Landtagsteilnahme über ein angemessenes Quartier zu verfügen.

Die nordwestdeutschen Domkapitel hatten sich fast ausnahmslos im Spätmittelalter zu ausschließlich adeligen Korporationen entwickelt. Die Pfründenkumulation zwischen den Domkapiteln nahm im Lauf der Frühen Neuzeit stark zu. Bedingt durch den Übergang eines großen Teils des nordwestdeutschen Adels zum lutherischen Glauben rekrutierten die Kapitel ihren Nachwuchs zunehmend aus den Familien der Ritterschaft des Herzogtums Westfalen. Ein besonders wichtiger Aspekt der Option auf die Pfründen der Reichskirche bestand darin, dass für einen Domherrn die Möglichkeit bestand, zum Bischof gewählt zu werden und damit in den Reichsfürstenstand aufzusteigen.

Die Ritterschaften im nordwestdeutschen Raum waren im späten Mittelalter aus den landesherrlichen Ministerialitäten hervorgegangen. Um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert erfolgte eine Abgrenzung der ritterschaftlichen Familien gegenüber den Familien der städtischen Führungsschichten, mit denen man zuvor noch ganz zwanglos Eheverbindungen geknüpft hatte. Während der westfälische Adel sich nahezu durch die ganze Frühe Neuzeit hindurch dagegen wehrte, Patriziergeschlechter oder Nobilitierte als ebenbürtig anzuerkennen, fand sich eine strenge Scheidung zwischen dem ritterschaftlichen Adel und Nobilitierten beim Adel rechts der Weser nicht.

In der zweiten Hälfte entwickelten vor allem die Ritterschaften der geistlichen Fürstentümer, aber auch mancher weltlicher Territorien die 16-Ahnen-Probe als Zulassungsvoraussetzung.
Andere Ritterschaften kannten die Ahnenprobe als Zugehörigkeitskriterium nicht und ließen bürgerliche Besitzer landtagsfähiger Güter zu den Ständeversammlungen zu.

Während soziale Forderungen der Aufklärung vielfach auf breite Zustimmung des Adels stießen, scheiterten politische Forderungen vielfach an der adeligen konservativen Grundhaltung. Diejenigen Adligen, die Forderungen etwa nach Beteiligung der bäuerlichen Bevölkerung an den Ständeversammlungen vertraten, isolierten sich damit in der Regel innerhalb ihres Standes.

Bei allen Parallelen, die die Entwicklung des landsässigen Adels zwischen Rhein und Elbe in der Frühen Neuzeit aufwies, ist ein grundlegender Unterschied in den Anforderungen an die persönliche Adelsqualität festzustellen. Während der Adel in den geistlichen Territorien links der Weser zur Wahrung der Stiftsmäßigkeit seiner Familien die 16-Ahnen-Probe als Zugehörigkeitskriterium hervorbrachte, kannte der Adel im Kurfürstentum Hannover solche Abgrenzungskriterien nicht. In den welfischen Territorien stand die Zugehörigkeit bürgerlicher Besitzer landtagsfähiger Rittergüter zu den Ritterschaften außer Frage. Ebenso wenig schloss der alte Adel hier seine Heiratskreise gegenüber Nobilitierten ab.

In der anschließenden Diskussion ging es um die Examen adeliger Studenten. Hoffmann berichtete, dass in Hannover die Laufbahnprüfung gefordert worden sei, und dass es in der Verwaltung von Stade einige Adlige mit Doktortitel gegeben habe. Wer eine schlechte Prüfung abgelegt habe, sei nur auf lokalen Stellen eingesetzt worden. Quantitative Angaben ließen sich aber nicht machen.

In einem dritten Beitrag stellte Bastian Gillner unter dem Titel "Nachbarn, Verwandte, Verbündete. Der münstersche Adel und die Niederlande im konfessionellen Zeitalter (1550-1650)"
Ergebnisse seiner Dissertation vor. Die spätmittelalterlichen Verbindungen zwischen westfälischem und niederländischem Adel waren eng geknüpft. Vielfältige verwandtschaftliche Beziehungen spannten sich über Münsterland und Emsland, Overijssel und Geldern. Besitz und Heiratsverbindungen überschritten regionale oder territoriale Grenzen genauso wie die Ämtertätigkeit in Diensten der unterschiedlichen Landesherren. Nicht wenige Adlige gehörten in mehreren Territorien der jeweiligen Ritterschaft an.

Dieses Miteinander wurde durch Entstehung und Verschärfung des konfessionellen Gegensatzes vor eine große Herausforderung gestellt. Zwar wurde ein protestantisches Bekenntnis für den niederländischen wie für den westfälischen Adel das geeignete Mittel zur Verteidigung seiner traditionellen Freiheiten gegen die konfessionellen und politischen Herrschaftsansprüche der katholischen Landesherren, doch die unterschiedliche Entwicklung führte in den Niederlanden zu einer gewaltsamen Loslösung von den Habsburgern, in Westfalen aber zu einer langfristigen Etablierung der Wittelsbacher auf dem Bischofsstuhl. Doch konnten die wittelsbachischen Fürstbischöfe im Stift Münster lange Zeit keine effektive Politik betreiben, weil der dortige Adel in den niederländischen Standesgenossen starke Unterstützer seiner Interessen fand.

Mehrfach veranlasste der münsterische Adel niederländische Interventionen gegen die katholische Religionspolitik der Fürstbischöfe Ernst (1554-1612) und Ferdinand von Bayern (1577-1650). Ansprechpartner fanden sich viele, vom Haus Oranien über die Generalstaaten bis hin zu den Provinzialstaaten von Overijssel. Landespolitische Entscheidungen wie etwa die Einsetzung eines Koadjutors in Münster oder der Beitritt des Stifts zur katholischen Liga wurden durch diese Interventionen ebenso behindert wie manches Vorgehen gegen die calvinistische Glaubenspraxis in vielen adeligen Herrschaften.

Überhaupt standen viele der calvinistischen Kleriker, die die konfessionelle Entwicklung der adeligen Herrschaften bestimmten, in enger Beziehung zu den kirchlichen Strukturen der Niederlande. Das katholische Lager in Münster lebte bis zum Dreißigjährigen Krieg - auch bedingt durch die Plünderungs- und Versorgungszüge der Truppen des niederländischen Kriegsschauplatzes nach Westfalen - in dauernder Furcht vor einer niederländischen Invasion zu Gunsten des münsterischen Adels.

Die enge Bindung beider Seiten schwächte sich erst mit der langsamen konfessionellen Umorientierung des münsterischen Adels ab. Die zunehmende Verdrängung protestantischer Adliger aus den Regierungs- und Verwaltungsstrukturen des Stifts Münster gefährdete Ansehen, Einfluss und Einkünfte der betroffenen Familien.

Im 17. Jahrhundert gab die Mehrheit des Adels deshalb ihre konfessionelle und politische Opposition auf und suchte den Ausgleich mit der bischöflichen Landesherrschaft. Die Preisgabe der engen Bindungen an die Niederlande war Teil dieser Annäherung. Als in der zweiten Jahrhunderthälfte Bischof Christoph Bernhard von Galen seine Feldzüge gegen die Niederlande führte, brauchte er sich um die politische und konfessionelle Loyalität seines Adels keine Gedanken mehr zu machen.

Auf die Frage nach der Auswirkung der Konfessionalisierung auf Konnubien antwortete Gillner, dass grenzüberschreitende Ehen vom Spätmittelalter bis ins 16. Jahrhundert häufig gewesen seien, ihre Zahl im konfessionellen Zeitalter jedoch zurückgegangen sei. Manfred Wolf, ehemals Staatsarchiv Münster, wies auf die Rolle von niederländischen Flüchtlingen hin, die den westmünsterländischen Adel zur Annahme des reformierten Bekenntnisses veranlasst hätten; am Ende seien aber nur die Familien Diepenbroick-Buldern und Morrien-Valkenhof evangelisch geblieben.

Nach der Mittagspause wurde die zweite Arbeitssitzung, die von Birigt Kehne vom Landesarchiv Niedersachsen-Staatsarchiv Osnabrück und von Adrie M. Roding vom Gemeentearchief Enschede geleitet wurde, den Perspektiven der Forschung gewidmet. Im ersten Referat stellte Maarten van Driel vom Gelders Archief in Arnheim "Quellen zur Adelsgeschichte im Gelders Archief zu Arnheim" vor.

Aus archivischer Sicht sei die Frage nach Quellen zur Adelsgeschichte erfreulich, aber vage, stellte er fest.
Adelsgeschichte habe als unterscheidendes Merkmal nur die prominente Rolle adeliger Familien oder Personen:
ereignisgeschichtliche, politische, institutionelle, wirtschaftliche Annäherungen an die Vergangenheit seien ebenso erlaubt wie kulturelle, soziale oder anthropologische.

Der Adel hat in dem vom Arbeitskreis in den Blick genommenen Raum allerdings eine so große Rolle gespielt und so viele und verschiedenartige Spuren in Archiven, Museen, Bauten und Landschaft hinterlassen, dass seine Geschichte und die Quellen dazu Eintritt in die Vergangenheit der ganzen Gesellschaft bieten - eine Vergangenheit, die gerade durch die Vielfalt der Quellen einem breiten Publikum attraktiv und erlebbar vorgestellt werden kann.

Zu den archivalischen Quellen zählen zuerst die vom Adel selbst hinterlassenen. Die Adelsarchive findet man in niederländischen Repositorien normalerweise in der Sparte Huis- en
familiearchieven: im Gelders Archief gehören dazu etwa 250 Bestände (mehr als 1000 lfm, vom 13. bis zum späten 20.
Jahrhundert). Eine Bestandsübersicht findet sich im Internet unter www.geldersarchief.nl > archief > zoeken in bronnen > archieven > systematisch. Der Fonds wurde ab etwa 1900 vom damaligen Rijksarchief in Gelderland aus Händen der Privatbesitzer zusammengetragen. Die Archive sind Deposita oder Schenkungen. Somit ist die Aufbewahrungslage in den Niederlanden ganz anders als in Westfalen und im Rheinland, wo die meisten Adelsarchive noch in Privatbesitz und vor Ort sind.

Die Bestände spiegeln das Alltagsleben (in Korrespondenzen, Tagebüchern, Haushaltsrechnungen), die sozialen Netzwerke, Funktionen im öffentlichen Leben, in Politik und Verwaltung, sowie das materielle Fundament des adeligen Lebens (Guts-und sonstige Vermögensverwaltung). Sie zeigen die weiträumige Verschwägerung des Adels auf:

Der Güterbesitz z. B. ist gestreut von Holland bis Westfalen, von der Eifel bis zur Nordseeküste. Die soziale Differenzierung lässt sich vom einfachen Landadel bis zum überregionalen, europäischen Hochadel (Bentinck, Limburg-Stirum, Westerholt, Spaen, Byland, Paland) verfolgen. Dass auch Archive von ursprünglich nicht-adeligen Geschlechtern dazu gehören, bezeugt die ständige personelle Erneuerung des Adels (z. B. die Arnheimer Regentenfamilie Brantsen, 1824 nobilitiert).

Auch viele Behördenarchive dokumentieren die Rolle des Adels:
Im Hertogelijk Archief die Beziehungen zum geldrischen Landesherrn, der ursprüglich auch nur ein Adliger gewesen war, als Lehnsleute, Räte, Amtsträger bei Hofe oder in der Lokalverwaltung, als Finanziers, Gegner oder Rivalen. Die Entwicklung der Position des Adels lässt sich in den Archiven der späteren Provinzialbehörden verfolgen: bis 1795 das Hof van Gelre en Zutphen, die Gelderse Rekenkamer, die Ständeversammlungen und Ritterschaften der drei geldrischen Quartiere; nachher die Bataafs-Franse archieven (1795-1813), und letztlich die Provinzialverwaltung im zentralisierten Königreich der Niederlande. Gleichfalls wichtig ist das Archiv der Stadt Arnheim als politischem Vorort des Veluwer Quartiers seit dem 14. und geldrischem Regierungssitz seit dem 16.
Jahrhundert, als Wohnsitz des Adels und aufgrund seiner Beteiligung (wie in anderen Städten) an der Stadtverwaltung.

Zu nennen sind auch die Archive lokaler Gerichte, Marken, Kirchengemeinden und Sozialeinrichtungen; auch hier spielte der Adel seine Rolle als Großgrundbesitzer, Gerichtsherr, paternalistischer Gutsherr oder bonne dame patronesse. Oft sind die Unterlagen solcher Einrichtungen (halb-)öffentlicher Natur in die Privatarchive der adeligen Amtsträger gelangt.

Viele illustrative Materialien findet man als Sammlungsgut, auch wenn es formal Archiven angehört: Karten, Stiche, Zeichnungen (überwiegend von Gebäuden und Landschaften), Fotos, Siegel. Solches Bildmaterial wird zunehmend auch direkt über das Internet bereitgestellt. Dieser knappe Überblick der im Gelders Archief aufbewahrten Quellen zur Adelsgeschichte kann als repräsentativ angesehen werden für das, was sich auch in anderen Archiven finden lässt. Jedoch erhalten archivalische Quellen ihre volle Aussagekraft nur in Kombination mit Quellen anderer, nicht-archivalischer Natur.

Auf die Frage nach der Pflege und Fortführung der Adelsarchive in den Niederlanden antwortete van Driel, dass das Rijksarchief sich anfänglich um Übernahme der Bestände nach 1800 wenig gekümmert habe, in den lezten Dezennien aber vieles nachgeholt worden sei. Die Entwicklung der gesellschaftlichen Rolle des Adels im 20. Jahrhundert sowie die Privatumstände der Adelsfamilien hätten aber auch Entstehung und Wert der jüngsten Bestände beeinflusst.

Im Anschluss stellte Heike Düselder von der Universität Osnabrück das Forschungsprojekt "Adel und Umwelt in der Frühen Neuzeit. Neue Forschungsperspektiven zur Adelsgeschichte" vor.
Der Adel auf dem platten Land hatte in der Frühen Neuzeit großen Einfluss auf die Gestaltung von Natur und Landschaft.

Er besaß das Land und herrschte über die Menschen, die darauf wohnten und es bewirtschafteten. Das Adelshaus bildete den optischen Mittelpunkt der Landschaft; von hier aus wurde die Umgebung gestaltet, zum Beispiel durch Alleen und Bewässerungssysteme, aber auch durch die Umwandlung von Brachland in Kulturland oder die Landgewinnung in den Küstenregionen.

Die Gartenanlagen der Adelshäuser bildeten die Kulisse für das Streben nach Repräsentation und Distinktion. Am Ende des 18.
Jahrhunderts und im Zusammenhang mit der Aufklärung wurden die Adelsgärten multifunktional und dienten nicht mehr nur der Repräsentation, sondern auch dem allgemeinen Nutzen.

Die Obst- und Gemüsegärten der Adelsgüter wurden zum Vorbild der bäuerlichen Gartenkultur. Dadurch hatte der Adel auf dem Land eine wichtige Funktion als Vermittler zwischen der Obrigkeit und den Bauern, denn er konnte ihnen neue Erkenntnisse aus der Landwirtschaft und neue Anbaumethoden demonstrieren. Die Verbindung von Adelsgeschichte, Umweltgeschichte und Agrargeschichte bietet somit neue (Forschungs-)Perspektiven.

In der anschließenden Diskussion wurde von Werner Frese, ehemals LWL-Archivamt für Westfalen, darauf hingewiesen, dass der Niederadel auch verbauert gewesen sei und z. B. Tabak auf der Hovesaat angebaut habe. Manfred Wolf, ehemals Staatsarchiv Münster, berichtete, dass Pomerien schon im 14. Jahrhundert verlehnt worden seien. Heike Düselder betonte dagegen den anderen Charakter dieser Obstgärten, die im 18. Jahrhundert in Mode gewesen seien und der Deckung des Bedarfs gedient hätten.
Auf die Frage nach landesherrlichen Vorbildern in der Landwirtschaft verwies Düselder auf Aufforstungen am Ende des 18. und im 19. Jahrhunderts.

Schließlich stellte Christiane Coester vom Deutschen Historischen Institut Paris das Projekt "Rheinischer Adel in Paris. Ein Werkstattbericht des Forschungsprojektes 'Aufbruch in die Moderne. Der rheinische Adel in westeuropäsicher Perspektive'" vor. Dieses Forschungsprojekt ist eine Kooperation zwischen dem Landschaftsverband Rheinland, den Vereinigten Adelsarchiven im Rheinland e.V. und dem Deutschen Historischen Institut Paris.

Ein Standort des Projekts befindet sich in Brauweiler, wo das Archivgut der Vereinigten Adelsarchive gepflegt wird, der andere befindet sich in Paris am Deutschen Historischen Institut. Die Forschergruppe übernimmt somit eine Mittlerfunktion zwischen der deutschen und der französischen Adelsforschung einerseits und zwischen universitärer Forschung, regionaler Forschung und den rheinischen Geschichtsvereinen andererseits.

Entsprechend der sehr vielfältigen Überlieferung in französischen und rheinischen Adelsarchiven sind auch die von den Mitgliedern der Forschergruppe bearbeiteten Themen weit gefächert. Behandelt werden z.B. adelige Revolutionserfahrungen,  die Karrierewege des rheinischen Adels, der Stellenwert der Stadt Paris als kultureller Orientierungspunkt, das Verhalten des Adels gegenüber der französischen Herrschaft sowie wirtschaftsgeschichtliche Fragen. Letztendlich geht es dem Projekt darum, den regionalen Adel des Rheinlandes in die internationale Situation seiner Zeit einzubinden und ihn aus einem westeuropäischen Blickwinkel zu betrachten.

Nach Fragen zur räumlichen und inhaltlichen Abgrenzung und methodischen Ausrichtung des Projektes, erläuterten die Referentin und Hans-Werner Langbrandtner von der LVR-Archivberatung, dass das Projekt ohne methodische Klammer zunächst auf die rheinischen Adelsfamilien und ihre Archive beschränkt sei, eine spätere räumliche Ausweitung aber grundsätzlich möglich sei.

In der Abschlussdiskussion, die von Maarten van Driel und Bernd Walter moderiert wurde, wurden folgende Punkte als erstes Fazit
gezogen: Es ist gezeigt geworden, wie sich die Adelsforschung in der Niederlanden und der Bundesrepublik abhängig von politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Wissenschaftsparadigmen entwicklet hat.

Beim Blick über die Territorial- und Landesgrenzen ist der Erkenntnisgewinn durch den Vergleich für die Adelsgeschichte deutlich geworden, insbesondere zur Analyse der inneren und regionalen Heterogenität.

Die Fruchtbarkeit der grenzüberschreitenden Betrachtung hat sich nicht nur bei der Analyse der Familienbezüge und Besitzverhältnisse gezeigt. Im konfessionellen Zeitalter hatten z.B. grenzüberschreitende Kontakte und Netzwerke unmittelbaren Einfluss auf regionale Auseinandersetzungen zwischen Adel und Landesherrschaft.

Der Aspekt der Umweltgeschichte eröffnet auch neue Perspektiven für die Adelsgeschichte. Es ist ein wichtiges Anliegen der Forschung, dass die Quellenbestände auf beiden Seiten der Grenze zugänglich gemacht und vernetzt werden. Als weitere Anregungen für die Forschung wurden Verbindungen protestantischer deutscher Gebiete zu den Niederlanden, Adlige als Unternehmer und die Reagrarisierung (Schulze), die politische Beteiligung des Adels und die Frage doppelter Loyalitäten (Kaizer) und die Erforschung von internationalen Netzwerken des Adels (van Til) genannt. Wolfgang Bockhorst vom LWL-Archivamt für Westfalen und Maarten van Driel kündigten an, die Vernetzung der Adelsarchive weiter vorantreiben zu wollen.

Quelle: Übernahme aus der E-Mailing-Liste 'Westfälische Geschichte'
- Teil des Internet-Portals 'Westfälische Geschichte'
(http://www.westfaelische-geschichte.de) - http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/
Datum: [26.05.2009], Uhrzeit: [12:07 Uhr]

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