Südlich von Stettin
Hunderte deutsche Weltkriegstote in Polen beigesetzt
72 Jahre nach Kriegsende werden in Polen noch Gebeine von Soldaten und zivilen Kriegstoten gefunden – oft dort, wo man es kaum erwartet. Bei einer großen Beisetzung wurden nun viele deutsche Kriegstote südlich von Stettin bestattet.
Man hatte sie zufällig auf einem Parkplatz gefunden.
Neumark/Penkun. Neugierig lesen Antonia Thomas und Karl Abitz eingravierte Namen auf den großen grauen Granitsteinen der weitläufigen Kriegsgräberstätte Neumark (Stare Czarnowo). „Wir kommen aus der Regionalen Schule in Penkun (Kreis Vorpommern-Greifswald) und sind zum ersten Mal hier“, sagt die 14-Jährige. Die Jugendlichen gehören zu rund 100 polnischen und deutschen Gästen, die bei der großen Beisetzungen im polnischen Neumark (Stare Czarnowo) dabei sind.
Fast 1800 Gebeine von zivilen deutschen Kriegsopfern und Soldaten wurden geborgen und in kleine, schwarze Pappsärge gelegt, die in zwei offenen Gruben liegen. Es handelte sich um eine der größten Beisetzungen seit Übernahme der Anlage durch den Landesverband Mecklenburg-Vorpommern des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge.
Nach einer Rede, einem Trompetenlied und einer geistlichen Besinnung werfen viele Gäste rote Nelken und Sand auf die Särge. Später werden die Gruben geschlossen.
„Es werden immer noch viele Kriegstote gefunden“
Neumark liegt südlich Stettins (Szczecin), ist mit 32.000 Plätzen einer der größten deutschen Sammelfriedhöfe. „Inzwischen liegen hier 25.000 Soldaten und zivile Opfern aus der Region Danzig, dem Wartheland, der Region Posen und dem ganzen ehemaligen Hinterpommern“, erläutert Thomas Schock als Leiter des Umbettungsdienstes Schock. „Durch den Bauboom in Polen werden immer noch viel mehr Kriegstote gefunden als erwartet.“
Experten rechneten mit 50.000 noch vermissten Soldaten und mindestens ebenso vielen vermissten Zivilisten. Auch bei der Suche werden die damals dramatischen Umstände deutlich. Manchmal werde eine Straße, eine Firma oder ein Haus gebaut oder erweitert und man stößt auf Skelettteile. So sind diesmal auch Gebeine von Frauen und Kindern dabei, die in den letzten Kriegstagen in Danzig auf ihre Flucht warteten. „Auf einem Lkw-Parkplatz wühlten die Reifen plötzlich Knochen frei.“
Deutsche Kriegstote in Polen beigesetzt.
Quelle: dpa
Massengrab östlich von Frankfurt/Oder gefunden
Untersuchungen ergaben, dass es in Danzig Plätze gab, wo viele Menschen beim Warten 1945 an Krankheiten oder Hunger starben oder von Bomben getötet und vergraben wurden. Neben den Zufallsfunden wissen Schock und seine Kollegen auch von Grabstätten, die bisher nicht wieder freigelegt werden können. In Posen (Poznan) gibt es eine alte Festung, die 1945 ein Lazarett war. Dort wurden Tote in Gräben begraben und nach 1945 kam „acht bis neun Meter Schutt und Erde darauf.“ An einem anderen Ort ist bekannt, dass eine Bühne in einem Park dort gebaut wurde, wo früher Tote begraben worden waren.
Östlich von Frankfurt/Oder haben die Umbetter gerade ein Massengrab gefunden, in dem rund 200 Tote aus einem Zug vermutet werden. Der Zug war zu Kriegsende auf dem Weg nach Osten in das Feuer der Roten Armee geraten.
In Neumark erinnern aber nicht nur Gräberfelder an die Toten und den Schrecken des Krieges. Eine kleine Ausstellung in einem Haus erläutert, wie das Ganze entstand, erläutert Geschichtliches und es gibt „Gesamtnamenbücher“ von allen Toten, die identifiziert werden konnten und hier beigesetzt wurden. Dies soll noch ausgebaut werden, erläutert Wolfgang Wieland vom Volksbund-Bundesvorstand.
„Wir wollen kein Gras über diese Sache wachsen lassen“
So soll Neumark bis 2019, dem 100-jährigen Jubiläum des Vereines, zu einem Modell für künftige friedhofpädagogische Arbeit werden. Hintergrund sei, dass die Zeitzeugen zum Großteil nicht mehr lebten. Man müsse sich neu überlegen, wie künftigen Generationen erläutert wird, dass Europa mehr als Streit um Flüchtlingsaufnahmen und Milchquoten sei. „Wir wollen kein Gras über diese Sachen wachsen lassen, damit sich Krieg in Europa nicht wiederholt“, sagt Wieland.
Die Identifizierung der Toten ist bei Zivilisten nicht immer möglich, bei Soldaten anhand der Erkennungsmarken eher, sagt Schock. „Gewissheit auch nach langer Zeit zu haben, schafft ein bisschen inneren Frieden“, meint Wieland. Einige derjenigen, die hier begraben sind, seien damals nicht älter gewesen als die Schüler, die ihren Geschichtsunterricht in Neumark erlebten. Antonia, Karl und ihre Mitschüler sehen nachdenklich aus, als sie den Friedhof wieder verlassen. Einige wollen später mit ihren Groß- und Urgroßeltern über die Ereignisse vor 72 Jahren sprechen.
Von Winfried Wagner/dpa/RND
LN Online - Lübecker Nachrichten 06. April 2017