Der Erste Weltkrieg brachte Not und Hunger über das Dorf an der Dinkel
Fett und Fleisch werden zum Luxus
Nienborg - Vor 100 Jahren, im dritten Jahre des Ersten Weltkriegs 1917, fielen aus Heek 14 Soldaten und aus Nienborg zwölf Soldaten. Die Namen der Nienborger Soldaten sind seit einigen Wochen auf der Gedenktafel auf dem Friedhof an der Meteler Straße verewigt.
Im Archiv des Heimatvereins befinden sich die entsprechenden Totenzettel und das Tagebuch von Hermann Hugenroth. Der damalige Hauptlehrer hielt die Kriegsereignisse des Ersten Weltkrieges in Nienborg fest. Von Martin Mensing
Johannes Buss, Theo Franzbach und Pfarrer Josef Leyer präsentieren die neue Gedenktafel an der Einsegnungshalle auf dem Friedhof. Hier sind auch die Namen der Soldaten aus Nienborg vermerkt, die im Ersten Weltkrieg 1917 gefallen sind. Foto: Martin Mensing
„Da sich die Lebensmittelfrage immer mehr zuspitzte, wurde für das Amt Nienborg ein sogenannter freiwilliger Hilfsausschuss gebildet, der aus sieben Personen bestand“, schrieb Hugenroth . Vorsitzender dieses Hilfsausschusses war Vikar Althoff aus Heek , Schriftführer war Hugenroth. Aufgabe dieses Gremiums war es, die Amtsbehörde bei ihren vielseitigen kriegswirtschaftlichen Obliegenheiten, wie der Zuteilung der Lebensmittel, zu entlasten. Ein halbes Jahr nach seiner Gründung wurde der Hilfsausschuss bereits wieder aufgelöst.
„Die steigende Lebensmittelnot förderte dann aber nachhaltig das Hamsterwesen und den Schleichhandel, beschrieb Hugenroth die angespannte Lage. Die Bauerschaften wurden nahezu überschwemmt: Auf einzelnen Gehöften erschienen an manchen Tagen mehr als 20 Personen. Durch das Hamsterwesen wurde eine „fabelhafte Preissteigerung“ erreicht. Die Bauern, die von den Behörden unter Androhung drakonischer Strafen zur Lieferung von Lebensmitteln gedrängt wurden, verkauften unter der Hand nur zu sehr hohen Preisen. Die „Schleichhändler“ überboten die Hamsterer beim Bezahlen noch. „Die Preistreiberei kannte keine Grenzen mehr“, schrieb Hugenroth. Für Butter wurden bis zu 25 Mark gefordert und auch gezahlt. Hamsterer und Händler zahlten für ein Ei zwischen 80 Pfennig und 1,05 Mark. Für einen Schinken drückten Schleichhändler bis zu 500 Mark und für ein halbfettes Schwein bis zu 1000 Mark ab. „Für die Landwirtschaft war wirklich eine goldene Zeit“, so Hugenroth. Zur Unterdrückung des Schleichhandels wurden Bauernwehren gegründet, da die Hamsterer vor Gewalt nicht zurückschreckten.
In den letzten Kriegsjahren herrschte auch ein Mangel an Tabak . „In Ermangelung überseeischer Zufuhr waren wir fast ausschließlich auf inländischen Tabak angewiesen“, hielt Hermann Hugenroth in seinen Aufzeichnungen fest. Der Tabak wurde über das Heer fast restlos beschlagnahmt. Hinzu kam, dass Tabak auch von der Teuerung erfasst wurde. Kostete das Päckchen Tabak vor dem Krieg 20 bis 30 Pfennig, stieg der Preis während des Krieges auf bis zu zwei Mark an. Im Jahre 1917 kamen noch größere Mengen Schmuggeltabak über die holländische Grenze ins Land. Dieser „Kanaster“, wie Hugenroth schrieb, war allzu teuer. Ein Pfund kostete acht Mark. Damit standen die Raucher vor einer langen Fastenzeit und machten sich auf die Suche nach Ersatz. Walnussbaum-, Kirschbaum- oder Himbeerblätter kamen in Ruf und Empfehlung. „Dat beste, wat man in den Piep stoppen kann“, meinte der Pfiffikus, „sind de Bookweiten-Siämmeln“ (Buchweizenkleie). All diese Mittel konnten sich nicht durchsetzen. Das Rauchen wurde mehr oder weniger eingestellt, die lange Pfeife kam außer Gebrauch.
Wegen der schlechten Hafer- und Heuernte des Vorjahres stieß man bei der Fütterung der Kriegspferde auf erste Schwierigkeiten. Aus diesem Grund wurde eine Laubsammlung veranstaltet, an der sich auch die Schulklassen aus Nienborg beteiligten. Das in den Nachmittagsstunden im Unterricht gesammelte Heu wurde auf dem Schulboden zu Laubheu verarbeitet. „Etwa 102 Zentner Laubheu wurden durch unsere Schule gegen eine Vergütung 18 Mark pro Zentner abgeliefert“, schrieb Hermann Hugenroth. Das zu Kuchen gepresste Laub wurde statt des Hafers an die Pferde verfüttert.
Im Rahmen der von Feldmarschall Hindenburg zur Linderung der Not in den großen Städten angeordneten Sammlung wurden in Nienborg 500 Pfund Fleisch- und Fettwaren gesammelt und zur Zentralstelle nach Dortmund versandt.
Um Energie zu sparen, ordnete der Amtmann im September an, die Straßenbeleuchtung im Ort auf das notwendige Maß einzuschränken.
Auch im Unterricht der Volksschule spielte der Krieg eine wichtige Rolle. Es wurden vorwiegend die einheimischen Tiere und Pflanzen eingehend behandelt, die bei der Lebensmittelknappheit eine besondere Bedeutung erlangt hatten. Die Fächer Geschichte, Deutsch, Mathe, Musik und Religion wurden auf den Krieg zugeschnitten. Wegen des Kohlemangels wurden die Weihnachtsferien 1916/17 bis zum 15. Januar 1917 verlängert.
Am 1. November des Jahres wurde Hauptlehrer Hermann Hugenroth, obwohl schon 46 Jahre alt, einberufen. Er diente als Landsturmmann in Geldern und wurde nach sechs Wochen nach Bocholt versetzt. Während seiner Abwesenheit wurden die vier Schulklassen von den drei Lehrerinnen versorgt.
Auf Anfrage des Landrats in Ahaus meldete der Erste Beigeordnete Rosery im April, dass sich im Februar noch 31 Kriegsgefangene und sechs Wachmannschaften im Lager in Nienborger befinden würden.
Allgemeine Zeitung 18.02.2017